Noch nach Jahrzehnten in München bin ich von seiner Pracht oft überwältigt, denn als Kind des Ruhrgebiets ist architektonische Schönheit für mich nicht selbstverständlich. Bei einigen einzigartigen Locations muss ich mich ab und zu vergewissern, dass alles noch so prächtig ist wie zuvor. Dazu gehört auch der erste Stock im Haus Nr. 25 der Residenzstraße. In den Räumen befand sich von jeher ein Café, früher die traditionsreiche Confiserie Rottenhöfer (Café Hag), heute das Stereo Café. Hier sitzt man direkt gegenüber der bemalten Westfassade der Residenz, kann den Passanten unten zuschauen, wie sie über die brozenen Löwenköpfe am Eingangsportal streichen – was Glück und Wohlstand bringen soll – und ist zugleich entrückt vom Trubel.
Ich war ein großer Fan vom Vorgängercafé Hag, so einem klassischen Café im alten Stil. Inzwischen – ich weiß, es hat eine Weile gedauert – zählt der hippe Nachfolger Stereo Café jedoch auch zu meinen Favoriten. Für mich ist es ein gelungenes Beispiel, wie man auf souveräne Art den Geist des Alten im Neuen kondensieren kann und dabei einen authentischen Stil entwickelt, der mehr als nur „retro“ ist.
Das alte Café Hag
Ich muss – nur kurz – vom Vorgängercafé schwärmen, was ich damals versäumt habe und dessen Schließung mich im Sommer 2013 doch recht betrübte. Sie war tatsächlich der Auslöser für diesen Blog. Seinen altmodischen Charme, das dunkle 70er-Ambiente mit Rauchglasspiegeln und Perlmuttplättchen-Lampen habe ich sehr geliebt. Wo nun das gefärbte Marzipan kaufen? Wie ohne das immense Tortenangebot auskommen? Keine alternden Kellnerinnen in Gesundschuhen mehr, die den Kaffee auf den Tisch hauen. Wobei das ja eher leicht zu verschmerzen war.
Das neue Stereo Café
Daher hatte es das Stereo Café natürlich nicht ganz leicht bei mir. Die Neueröffnung habe ich erst gar nicht bemerkt, ließ mich vielmehr vom Laden mit Hippstermännermode im Erdgeschoss täuschen. Bis ich eines Tages im riesigen Atelierfenster im ersten Stock statt der Pflanzenbank mit Grünlilie und Gummibaum Beine auf Barhockern baumeln sah. Und mich hochgetraut habe. Man erreicht das Café durch den Laden über die geschwungene schwarze Marmortreppe. Sie wirkt jetzt im Kontrast zu den weißen Wänden wie freigestellt und zieht einen förmlich hinauf in die Helligkeit des Cafés.
Zwei Dinge haben mich dann auf Anhieb versöhnt – das Fresko und der Filterkaffee.
Das Fresko aus den 50er Jahren: 
Dass unter meiner geliebten und für original befundenen Einrichtung bei der Renovierung das authentisch Originale zu Tage kam, zeigt, wie verblendet man oft ist und dass man nicht am Alten zu sehr kleben sollte. Jetzt entsteht zwischen der graubemalten Residenzfassade draußen und dem pastelligen Fresko innen ein wunderschönes Wechselspiel. Die Ausstattung des Cafés orientiert sich farblich und im Stil an der Wandbemalung, bleibt dabei doch völlig zeitgemäß.
Der Filterkaffee: Bei meinem ersten Besuch im Sommer 2014 saß ich vom neuen Ambiente noch leicht verunsichert und geblendet von der Helligkeit unschlüssig da. Als hätte der nette Service es geahnt, bot man mir einen Filterkaffee an. Damit war aller Argwohn dahin. Ich trinke schon immer am liebsten den erst jetzt wiederentdeckten Filterkaffee. Und hier wird er wie daheim von Hand gefiltert und schmeckt köstlich.
Das Konzept
Auf elegantem Rosenthal-Geschirr wird ein kleines, aber feines Speisenangebot serviert, alles hausgemacht, mit besten Zutaten: Kuchen, Limonaden, Butter (z.B. Zimtbutter), selbst gemischtes Müsli, Lunch… 
Eine Besonderheit ist die zum Kauf angebotene Feinkost: Marmelade, eingelegtes Gemüse, Obstbrände stammen vom elterlichen Apfelgut des Geschäftsführers Felix Neuner-Duttenhofer. Die Erbsen & Möhren zum Beispiel werden von Hand geerntet und konserviert. Alles zeugt von Sinn für Ästhetik und Qualität und wird damit diesem schönen, exquisiten Ort gerecht. Es gefällt mir hier ebenso gut wie früher.
Stereo Café
Residenzstr. 1
80333 München
www.stereo-cafe.de
U 3/6/4/5: Odeonsplatz, 1 Min. Fußweg
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